Anlegerbrief

Anlegerbrief Juni 2022

Die Zinswende läuft aus Sicht der Märkte nicht gut. Die Notenbanken sehen sich genötigt, ihre Zinsanhebungen zu beschleunigen. Lesen Sie außerdem, wie aufkommende Rezessionsängste die Aktien- und Anleihenmärkte mittlerweile in einen Bärenmarkt drücken, und warum die Europäische Zentralbank eine „Notfall-Sitzung“ abgehalten hat.
Dr. Marc-Oliver Lux
June 15, 2022
Der Dr. Lux & Präuner Anlegerbrief

Inhalt

Börse aktuell: Die Notenbanken haben es verbockt

Dass uns in diesem Börsenjahr die von der US-Notenbank Fed eingeläutete Zinswende beschäftigen würde, war klar. Ab Juli wird nun auch die Europäische Zentralbank EZB mit ersten Zinsschritten nachziehen. Weitere Anhebungen sind in der Pipeline. Denn die Inflationsrate steigt weiter in lange nicht mehr gesehene Höhen. Damit wird immer deutlicher: die Notenbanken haben definitiv zu spät reagiert und mittlerweile Mühe, die Lage in den Griff zu bekommen. So sehen es inzwischen auch die Märkte. Das erste Zwischenfazit lautet daher: die Zinswende läuft nicht gut.

Die Hoffnungen, dass in den USA der Höhepunkt der hohen Inflation bereits erreicht sei, haben sich vorerst zerschlagen. Mit 8,6% lag die Inflationsrate im Mai so hoch wie seit vier Jahrzehnten nicht mehr.
Nach der Mai-Notenbank-Sitzung hatte Fed-Präsident Jerome Powell noch einen weiteren Schritt von einem halben Prozentpunkt im Juni in Aussicht gestellt.
Doch die aus Fed-Sicht weiterhin „überraschend“ hohe Inflationsrate hat die Notenbanker nun zum Umdenken gebracht. Mit immer neuen Formulierungen betonte der sichtlich angespannte Fed-Chef in der Pressekonferenz, wie besorgt die Notenbank wegen der hohen Inflation sei und zugleich wie entschlossen, sie zu bekämpfen. Die Fed hat ihren Kurs der geldpolitischen Straffung daher beschleunigt: Im Rahmen des jüngsten Zinsentscheids vor einer Woche wurde der Leitzins nicht um die vorher erwarteten 50 Basispunkte, sondern um stolze 75 angehoben. Der Zins, zu dem sich Banken kurzfristig refinanzieren können, liegt damit künftig in einer Spanne von 1,50 bis 1,75 Prozent. Es ist der größte Zinsschritt seit 1994. Weiterhin machte Powell deutlich, dass im Juli eine weitere Zinsanhebung um 0,50 bis 0,75 Prozentpunkten ansteht.
Zugleich gehen die Entscheidungsträger der Notenbank jetzt auch von einem insgesamt höheren Zinsniveau in den kommenden Monaten aus als zuvor projektiert. Sie rechnen nun mit 3,40% für Ende dieses Jahres und sogar mit 3,80% Ende kommenden Jahres. Diese Prognosen sind keine Festlegungen, zeigen aber doch, wohin der Trend nach Meinung der Fed hingeht.

Die wider Erwarten höheren Zinsniveaus sind Gift für Konjunktur und Börse. Die größte Sorge der Marktteilnehmer war immer, dass die Notenbanken viel aggressiver vorgehen müssen als erhofft. Deshalb kommen nun Sorgen auf, die geldpolitische Wende könnte zu einer Rezession in den USA führen, unter denen wiederum die Unternehmensgewinne und damit die Aktien leiden würden. Das erklärt die zuletzt schwächere Börse, die vieles bereits vorwegnimmt.
Auch der US-Anleihemarkt signalisiert mit einer zeitweise inversen Zinskurve bereits eine bevorstehende Rezession: Auf der anderen Seite des Atlantiks ist der Zinsanstieg dramatischer als in der Euro-Zone, so dass die Zinsen für zweijährige Papiere jetzt so hoch stehen wie zuletzt 2007. Zweijährige Staatsanleihen schossen in der Spitze schon auf 3,45% und damit knapp über ihre zehnjährigen Pendants. Bei den deutschen Bundesanleihen ist dieses Phänomen noch nicht zu beobachten. Doch die Renditen klettern ebenfalls ungebremst nach oben. Je höher die Zinsen steigen, desto stärker werden zukünftige Unternehmensgewinne abdiskontiert und umso teurer erscheinen vor allem Wachstumstitel.

Börse im Bärenmarkt

Aktien & Anleihen: Im Bärenmarkt angekommen

Seit Jahresanfang geht es mit den Aktien fast jeden Monat abwärts. Die Zuspitzung im März mit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine und der ersten Zinserhöhung der US-Notenbank war offensichtlich nur ein Vorgeschmack auf ein schwieriges und turbulentes Börsenjahr.
Seit dem Allzeithoch im November summiert sich das Minus im deutschen Aktienindex DAX nun auf mehr als 20%. Beim viel beachteten amerikanischen S&P 500 sieht es ähnlich aus: Der US-Index ist so stark eingebrochen wie seit März 2020 inmitten der Corona-Pandemie nicht mehr und liegt nun bei -22% seit Jahresanfang. Die Stimmung der Anleger ist dementsprechend im Keller.
Wenn ein Aktienindex mindestens 20% unter seinen Höchststand gefallen ist, sprechen Börsianer von einem „Bärenmarkt“. In solchen Börsenphasen zeigt der übergeordnete Trend nach unten, auch wenn sich die Kurse immer mal wieder temporär erholen. Anleger sind dann grundsätzlich pessimistisch und interpretieren Nachrichten im Zweifel negativ, was oft weitere Kursverluste zur Folge hat.

Bis es mehr Klarheit zur Inflationsdynamik, Zentralbankpolitik sowie zur Entwicklung der Konjunktur und der Unternehmensgewinne gibt, dürften die Märkte weiter nervös und volatil bleiben. Der Aktienmarkt fürchtet die Zinsen inzwischen mehr als den anhaltenden Krieg in der Ukraine. Investoren haben Angst vor einer Rezession. Sie befürchten, dass die führenden Notenbanken mit ihren Reaktionen auf die hohen Inflationsraten die Wirtschaft abwürgen.
In der vergangenen Woche haben mit der US-Notenbank (Fed), der Bank of England und der schweizerischen Nationalbank gleich drei Zentralbanken die Zinsen erhöht. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird als Nachzüglerin im Juli folgen.

An den Anleihemärkten hat die Zinswende bereits deutliche Spuren hinterlassen. Die Kurse für amerikanische und deutsche Staatsanleihen sind seit Jahresanfang um historische elf beziehungsweise 13 Prozent eingebrochen. Im Gegenzug stiegen die Renditen kräftig an. Im Fokus stehen dabei die Renditen von zehnjährigen Staatsanleihen aus Deutschland und den USA. Sie gelten als Richtschnur für die langfristigen Kapitalmarktzinsen anderer Staaten und der Unternehmen, die ihre Anleihen mit Risikoaufschlägen (Spreads) im Vergleich zu den als sicher geltenden Bundes- und US-Staatsanleihen begeben müssen. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe ist seit Jahresanfang von minus 0,20% auf plus 1,60% gestiegen. Die Rendite zehnjähriger US-Treasuries erhöhte sich von 1,50% auf 3,20%.

Auch wenn durch die Kursrückgänge an den Anleihe- und Aktienmärkten bereits einiges von den künftigen Zinserhöhungen eingepreist ist, muss man vorsichtig sein. In den Aktienkursen dürfte zwar eine Wachstumsdelle enthalten sein, ein deutlicher Rückgang der Wirtschaftsleistung aber noch nicht. Eine Rezession spiegelt der Aktienmarkt noch nicht „vollumfänglich“ wider. Dafür sind die Gewinnschätzungen für die Unternehmen in Europa und den USA für dieses und die nächsten beiden Jahre immer noch zu robust, obwohl die Ökonomen ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum immer weiter senken. Das nächste Risiko am Aktienmarkt sind daher konkrete Enttäuschungen beim Zahlenwerk der Unternehmen.


Unsere Einschätzung:
In Erwartung der Zinswende haben wir bei Dr. Lux & Präuner bereits vor Monaten die Cashquoten hochgefahren und zinssensible Werte abgebaut. Eine gewisse Zurückhaltung bei Neuengagements mag aktuell noch opportun sein. Gleichwohl ist häufig das Schlimmste schon ausgestanden in dem Moment, in dem man mit Sicherheit weiß, dass man sich in einem Bärenmarkt befindet. Vertraut man der Börsen-Statistik, so verbleibt eine gewisse Zuversicht: Seit 1945 lag der S&P 500 jeweils ein Jahr, nachdem der Index etwa ein Fünftel an Wert verloren hatte, im Schnitt wieder 18% höher.

Eurozone in Gefahr

Zinsen & Euro: Droht eine neue Eurokrise?

Nachdem die Zinsen auf italienische Staatsanleihen zuletzt deutlich gestiegen waren und die Europäische Zentralbank (EZB) letzte Woche überraschend eine Krisensitzung einberufen hatte, stand auch bei den Finanzministern eine Frage im Mittelpunkt: Kehrt nach dem Krieg nun auch noch die Euro-Krise nach Europa zurück?

Vor genau zehn Jahren befand sich die Schuldenkrise auf ihrem Höhepunkt. Kaum wagt sich die EZB an den Ausstieg aus dem Dauer-Krisenmodus, müssen südeuropäische Länder schon wieder deutlich mehr für die Aufnahme neuer Schulden zahlen. Für Italien sind die Zinsen mit 4,20% für Schuldpapiere, die zehn Jahre laufen, zum ersten Mal seit 2014 wieder über die Marke von vier Prozent gestiegen, Griechenland musste Anlegern sogar 4,60% bieten.

In ihrer Notsitzung beriet die Notenbank über neue Aufkaufprogramme, um die Lage zu beruhigen. Man arbeite an einem neuen geldpolitischen „Instrument“, um die „Fragmentierung“ – eine Ausweitung der Renditeunterschiede zwischen den Ländern der Währungsunion – zu verhindern, teilte sie hinterher mit.
Doch wurde die Frage nach der Sitzung nur noch nachdrücklicher gestellt: Droht nun tatsächlich ein Wiederaufflammen der Euro-Krise? Oder findet mit dem Ende der lockeren Geldpolitik lediglich eine Normalisierung statt, die zwar schmerzhaft ist, aber nicht in einem neuen Euro-Crash mündet?

In der Coronapandemie ist die Verschuldung im Euro-Raum auf ein Rekordhoch gestiegen. Die Verschuldung gemessen an der Jahreswirtschaftsleistung liegt bei rund 100%, in einigen Ländern ist der Schuldenstand noch viel höher: Griechenland steht mit fast 200% in der Kreide, Italien mit 150% und Portugal mit 130%.
Aufgrund seiner Größe gilt allen voran Italien als größte Gefahr für den Euro. Eine Pleite Italiens könnten die anderen Euro-Länder anders als etwa eine erneute Insolvenz Griechenlands nur schwer auffangen. Solange die EZB wie in den vergangenen Jahren viele Staatsanleihen von Euro-Staaten aufkaufte und das Zinsniveau so niedrig hielt, waren die hohen Staatsschulden kein Problem. Doch das ändert sich jetzt, da die EZB diese Politik beendet. Jetzt müssen die Euro-Staaten wieder höhere Zinsen für die Aufnahme neuer Schulden zahlen. Nur, dass die Schulden jetzt auf Rekordniveau liegen.

Allerdings ist die Lage heute nicht einfach mit der von vor zehn Jahren vergleichbar. So ist die Zinslast der Euro-Staaten insgesamt viel geringer als damals. Selbst wenn Italien zu den aktuellen Zinsen neue Anleihen ausgibt und damit auslaufende Schuldpapiere refinanziert, spart das Land immer noch Geld, weil die Zinsen immer noch fast halb so hoch sind wie vor zehn Jahren.
Der zweite große Unterschied zu damals: Mit dem Euro-Rettungsschirm ESM, dem Bankenrettungsfonds sowie den Anleihekaufprogrammen der EZB, die wieder aktiviert werden können, stehen anders als 2012 mehrere wirksame Instrumente bereit, um gegen eine neue Krise anzukämpfen.

Es war wohl deshalb auch etwas zu dramatisch, dass die EZB gleich zu einer „Notfall-Sitzung“ zusammengekommen ist. Es wäre mit weniger Aufregung gegangen. Wieder einmal hat die EZB sich und der Gemeinschaftswährung einen Bärendienst erwiesen.

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