Anlegerbrief

Anlegerbrief Mai 2024

Die Börsianer hängen an den Lippen der Notenbanker: Europa kann weiter auf den Juni hoffen, USA muß bangen. Lesen Sie außerdem, ob es sich lohnt, auf eine größere Korrektur zu warten, und warum Neobroker von der Aufsicht unverständlicherweise mit Samthandschuhen angefaßt werden.
Dr. Marc-Oliver Lux
May 8, 2024
Der Dr. Lux & Präuner Anlegerbrief

Inhalt

Börse aktuell: Zwischen Hoffen und Bangen

Nach einer Konsolidierungsphase im April beginnen die Aktienmärkte nun wieder ihre Höchststände ins Auge zu fassen. Dabei wird aktuell die Gefühlslage der Börsianer stark von der zukünftigen Geldpolitik der Notenbanken beeinflußt. Die Marktteilnehmer warten auf die erste Zinssenkung und klopfen so jede Konjunkturzahl nach Inflationsspuren ab.
Die ambitionierten Zinssenkungserwartungen vom Jahresanfang haben zuletzt jedoch einen Dämpfer erhalten. Gingen die Märkte Anfang Januar noch von sechs Zinssenkungen um je 25 Basispunkte aus, preisen sie nun nur noch insgesamt drei Zinssenkungen bis Ende 2024 ein. Somit wurde in den letzten Wochen viel Zinssenkungsphantasie wieder ausgepreist.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen in ihrer letzten Sitzung im April ein weiteres Mal unverändert gelassen. Dies war von Ökonomen im Vorfeld auch so erwartet worden.
Der EZB-Rat verwendete in seinen geldpolitischen Beschlüssen aber erstmals eine Formulierung, die auf eine Lockerung der Geldpolitik hindeutet, wenn die Wirtschaftsprognosen im Juni genügend Spielraum dafür bieten.
Die EZB erklärte zwar, dass sie datenabhängig bleibe und sich nicht auf einen Zinspfad festlegen werde. Doch Präsidentin Christine Lagarde wies auch darauf hin, dass einige EZB-Räte schon jetzt ausreichend zuversichtlich waren, was die Inflation angeht. Insofern bleibt die Hoffnung auf fallende Zinsen im Juni bestehen.
Neu ist aber, dass damit voraussichtlich die EZB als erste an der Zinsschraube nach unten drehen wird, und nicht die US-FED.

In den USA mehren sich nämlich aufgrund der starken Konjunktur die Zeichen, dass Zinssenkungen erst später kommen und geringer ausfallen werden. Unter den Börsianern macht sich daher Ernüchterung breit. Die Hoffnungen auf baldige Zinssenkungen sind jenseits des Atlantiks erst einmal verflogen. Die amerikanische Wirtschaft steht zu robust da, und die Preisindikatoren stellen die amerikanischen Notenbanker keinesfalls zufrieden. Vielmehr hat die US-Notenbank erneut ihre Besorgnis über die Inflation zum Ausdruck gebracht: "Bislang haben uns die Daten in diesem Jahr nicht die Zuversicht gegeben, dass Zinssenkungen angemessen sind", erklärte Fed-Chef Jerome Powell auf der Pressekonferenz nach der Zinsentscheidung. "Die Inflationswerte liegen über den Erwartungen. Es wird länger dauern als bisher angenommen, bis wir ein solches größeres Vertrauen erlangen." Wie die Eisheiligen im Mai hat das die Börsianer kalt erwischt. Manch einer fürchtet bereits sogar zusätzliche Zinsanhebungen. Doch so weit will Powell nicht gehen; er sieht dafür „keine Anhaltspunkte, die diese Schlussfolgerung stützen“.
So bleibt es ein Hoffen in Europa und ein Bangen in USA, und das in einer erfahrungsgemäß eher schwierigeren saisonalen Aktienmarktphase ab Mai.

Am Börsenhoch einsteigen oder abwarten?

Private Vermögensanlage: Am Börsenhoch einsteigen oder lieber warten?

Seit Monaten streben die Aktienkurse nach oben. Da ist es schwer, einen günstigen Einstieg zu finden. Wer nicht dabei ist und den steigenden Kursen hinterherschauen muß, steckt in einem Dilemma: Soll man doch noch einsteigen? Oder lieber auf einen Rückschlag warten? Ist langfristiges Buy and Hold vielleicht ohnehin die bessere Strategie? Zumindest für den globalen Aktienindex MSCI Welt gibt es dafür nun eine Antwort aus einer Studie des Family Office HQ Trust:

Für die Studie wurden globale Aktienindizes seit 1973 herangezogen – insgesamt mehr als ein halbes Jahrhundert Börsenhistorie. Betrachtet wurden die täglichen Renditen des Aktienindex MSCI World bis Dezember 1987, ab Januar 1988 die des noch etwas breiteren MSCI ACWI. Das Fazit: Das Warten auf das nächste Jahrestief lohnt sich in aller Regel nicht, da Anleger bis dahin viel mehr Rendite liegen lassen, als sie mit dem günstigen Einstieg gewinnen.

Die Analyse zeigt: Der Markt notiert die meiste Zeit deutlich näher an Jahreshochs als an Jahrestiefs. Während sich die Kurse nur in 13% der Zeit weniger als 5% vom Tief entfernt bewegten, lagen sie in mehr als der Hälfte der Zeit (51%) weniger als 5% unter dem jeweiligen Jahreshoch.
Auch mit Blick auf das Verlustrisiko bringt ein Einstieg nahe dem Jahrestief laut der Untersuchung keinen signifikanten Vorteil: Jahreshoch und -tief lagen hier etwa gleichauf: Bei einem Kauf zum Jahreshoch hätte es in 27% der Fälle auf Jahressicht ein Minus gegeben, beim Jahrestief waren es 28%. In den Phasen zwischen den Hochs und Tiefs lag die Verlusthäufigkeit mit 42% sogar deutlich höher.

Eindrucksvoll sind die ermittelten Renditedifferenzen zwischen einem „Abwarte-Anleger“, der also auf das nächste Tief wartet und dann einsteigt, und einem Dauerinvestor: Während ersterer über den Gesamtzeitraum aufgrund seiner niedrigen Investitionsquote lediglich 2,1% jährlich erzielte, kam der konstant investierte Anleger auf einen Zuwachs von 7,7% pro Jahr. Dies liegt daran, dass der abwartende Anleger auch nur in 37% der Zeit investiert war.

Die Studie untermauert grundsätzlich einmal mehr die Vorteile einer langfristig orientierten Anlagestrategie. Zwar scheint es auf den ersten Blick verlockend, durch geschicktes Timing den „perfekten“ Einstiegszeitpunkt erwischen zu wollen. De facto klappt es mit dem Timing aber bei 99% der Anleger nicht. Eine solche Vorgehensweise führt nicht nur zu einem erhöhten Risiko, Kursanstiege zu verpassen, sondern langfristig auch zu einer deutlich geringeren Rendite als eine konstante Marktpartizipation. Für den langfristig orientierten Investor lautet die Devise daher meist: „Buy-and-Hold“, also einfach investiert bleiben.

Unser Rat:
Wer in so starke und breit aufgestellte Aktienindizes wie den MSCI Welt oder den S&P500 investiert, wird mit einer langfristigen Buy-and-Hold-Strategie wohl am besten fahren. Auch der NASDAQ eignet sich gut für eine Buy-and-Hold-Strategie, denn Technologietitel können enormes Upside-Potential entwickeln und größere Rückschläge weit überkompensieren.
Auf Indizes mit einem kleineren Anlageuniversum würden wir das Untersuchungsergebnis nicht ohne weiteres übertragen wollen. So ist beispielsweise der deutsche Aktienindex DAX (40 Werte) inklusive Dividenden ab dem Jahr 2000 mehr als 13 Jahre summa summarum seitwärts gelaufen; rechnet man die Dividenden heraus, war der bereinigte Kursindex sogar erst nach mehr als 20 Jahren im Plus. Buy and Hold war in dieser Zeit einfach nur frustrierend.

Neobroker-Provisionen

Neobroker: Zwei weitere Jahre Schonfrist für umstrittene Bezahlpraxis

Neobroker wie Trade Republic, Justtrade oder auch Scalable bieten Gratis-Transaktionen bei Wertpapieren. Das dahinterstehende Vergütungsmodell hat die EU nun verboten. In Deutschland gilt aber noch eine Schonfrist von zwei Jahren:
Die deutsche Finanzaufsicht Bafin teilte mit, dass sie in den kommenden Monaten nicht gegen Wertpapierfirmen vorgehen werde, die gegen das europaweit bestehende Verbot von "Payment for Order Flows" (PFOF) verstoßen. Diese Entscheidung solle solange Bestand haben, bis das deutsche Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sei, in dem die nationale Ausnahme vom PFOF-Verbot bis Mitte 2026 geregelt wird.

Worum geht es? Unter PFOF versteht man eine gerade bei Neobrokern verbreitete Vergütungspraxis, bei der die Broker Kundenaufträge an größere Wertpapierhändler weiterleiten, die die Order auf ihren eigenen Handelsplattformen platzieren statt direkt an der Börse. Für diesen Vorgang erhalten die Neobroker eine Provision und können daher Kunden mit dem Angebot von sehr günstigen oder sogar Gratis-Transaktionen werben – ein Wettbewerbsvorteil gegenüber traditionellen Banken und Finanzdienstleistern.
Diese Praxis hat die EU nun im März wegen Interessenkonflikten untersagt. Das Verbot gilt nach 20 Tagen seit der Verkündung im Amtsblatt. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union können aber bis zum 30. Juni 2026 davon abweichen.
Von dieser Möglichkeit wird Deutschland Gebrauch machen. Das Bundesministerium der Finanzen hat der Bafin erklärt, dass Deutschland PFOF für Wertpapieraufträge von in Deutschland ansässigen oder niedergelassenen Kunden bis zum 30. Juni 2026 noch zulässt. Dagegen ist PFOF für die Weiterleitung von Aufträgen von Kunden aus dem Ausland nicht mehr möglich.

Unsere Einschätzung:
Wer braucht eigentlich Neobroker? Offensichtlich wird da gut geschmiert;  anders kann man die Schützenhilfe aus der Politik nicht verstehen.
Sonst wird immer nach größtmöglicher Transparenz und Aufklärung am Finanz- und Kapitalmarkt gerufen. Es wurden schon Anlageverträge für nichtig erklärt, weil der Kunde nicht darüber aufgeklärt wurde, daß Finanzvermittler Provisionen von Produktgesellschaften erhalten. PFOF ist nichts anderes. Sehr zweifelhaft, daß irgendein Endkunde von dem Begriff schon mal was gehört hat. PFOF ist völlig intransparent. Weder ist nachvollziehbar, was da im Hintergrund fließt, noch kann ein Vergleich erstellt werden, ob es für den Kunden nicht günstiger gewesen wäre, seine Order an der Börse oder anderweitig zu platzieren.
Es liegt vielmehr der Verdacht nahe, daß die Neobroker nicht unbedingt mit dem - aus Kundensicht – günstigstem Partner zusammenarbeiten, sondern mit demjenigen, der die größten Provisionen zahlt, um mit möglichst aggressiven Konditionen werben zu können. Mit der gleichen pauschalen Unterstellung wurden übrigens bereits vor Jahren alle Berater konfrontiert, die (mit Kundenwissen) auf Provisionsbasis arbeiten, um sie in die Honorarberatung zu drängen.

Auch für Finanzinstitute wie Dr. Lux & Präuner klingt die Kulanz der deutschen Aufsicht wie Hohn, denn in der Vermögensverwaltung ist die Orderausführung nach Best Execution Pflicht, d.h. es ist der für den Kunden günstigste Orderweg zu wählen.
Zudem müssen natürlich sämtliche angefallenen Kosten (inkl. Bank- und Produktkosten) im Vermögensverwaltungsreporting ausgewiesen werden. Sogar schon bei Vertragsabschluß ist dem Kunden eine Schätzung über die voraussichtlich anfallenden Gesamtkosten zur Verfügung zu stellen. Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihr Autoverkäufer Ihnen zukünftig mit Abschluß des Kaufvertrags noch eine Kostenaufstellung in die Hand drückt, die auch die zu erwartenden Benzin- und Inspektionskosten berücksichtigt. ;-)

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